Uwe Alzen (Opel) und Christian Abt (Abt-Audi) kämpften heute vor 25 Jahren um den Titel in der STW-Meisterschaft - Am Nürburgring eskalierte der Kampf völlig
"Nee, also tut mir leid, jetzt habt ihr sie nicht mehr alle." - Besser als Kommentatorenlegende Burkhard Bechtel hätte man die Situation nicht auf den Punkt bringen können. Uwe Alzen rettet einen völlig zerstörten Opel Vectra über die Ziellinie, wenige Meter dahinter versinkt Christian Abt im Kiesbett. Der Titelkampf in der STW-Meisterschaft 1999 hat die letzte Stufe der motorsportlichen Eskalation erreicht.
Was sich am 17. Oktober 1999 auf dem Nürburgring abspielte, stellt selbst die kontroversesten Anekdoten der DTM-Geschichte in den Schatten. "Es war eine Schlacht", erinnert sich Christian Abt im Gespräch mit Motorsport-Total.com an die wohl unglaublichste Titelentscheidung, die es im deutschen professionellen Motorsport je gegeben hat.
Eine Saison, die eigentlich ein Durchmarsch von Opel werden sollte, entwickelte sich zu einem Krimi zwischen zwei Alphatieren, die beide bereit waren, alles für den Titel zu geben. Im Rücken millionenschwere Programme in der Spätphase der Super-Touring-Ära, als die Kosten schon völlig aus dem Ruder liefen.
Schon früh in der Saison hatten Abt und Alzen die jeweiligen Chefposten in ihren Lagern übernommen. Mit allen Mitteln wurde auf und neben der Strecke gekämpft. Bereits in den vorangegangenen Rennen kam es zu kontroversen Szenen, beide Lager fuhren dem jeweils anderen Titelkandidaten ins Auto. In Hockenheim erwirkte Opel eine Disqualifikation gegen Abt, weil sein Team nach einer Kollision, in die auch Alzen verwickelt war, unter Parc-ferme-Bedingungen an seinem Auto arbeitete.
Auch auf der technischen Seite wurden alle Register gezogen. Die Tourenwagen sahen nur noch von außen wie Serienautos aus. Der technische Overkill der Klasse I, den die ursprünglich als Klasse II deklarierten 2-Liter-Tourenwagen eigentlich zu vermeiden suchten, hatte in abgeschwächter Form längst Einzug gehalten.
Im Qualifying wurden Keilriemen zerschnitten, um das letzte Quäntchen Leistung aus den mit 300 bis 320 PS nicht gerade übermotorisierten Tourenwagen herauszukitzeln. Radlager aus Keramik wurden gefahren, serienmäßige Zahnriemen gegen Stirnräder getauscht. Die Kotflügel wurden aufwendig nach innen verbreitert (nach außen war das nicht erlaubt), um Platz für immer breitere Reifen zu schaffen.
Auf der einen Seite der Opel Vectra B, dessen Facelift zur Saison 1999 eingeführt wurde. Er markiert die letzte Evolution der Super-Touring-Ära mit allem zeitgemäßen Hightech. Opel legte sich mächtig ins Zeug, denn nach zahlreichen Herstellerausstiegen war man Favorit. Opel-Werkstuner Spiess baute einen fabelhaften Motor, in der Spitze ließ der Vectra alles stehen und liegen.
Auch am Start kam der Opel für einen Fronttriebler erstaunlich gut weg, vor allem mit Alzen. Das ultraprofessionelle Team Holzer hatte den Vectra über die Jahre zu einer echten Waffe entwickelt. Doch die Low-Downforce-Philosophie schlug sich in erhöhtem Reifenverschleiß nieder. Die Basis ging bereits auf 1996 zurück.
Am Steuer: Uwe Alzen - Vollgastier, Naturtalent, verbissener Erfolgsmensch. Nach einem Lehrjahr an der Seite von Klaus Ludwig in der ITC 1996 mit allen Wassern gewaschen. "Klaus war für mich der größte Tourenwagen- und Sportwagenfahrer überhaupt. So wie andere Ayrton Senna als Vorbild haben, war Klaus mein Vorbild", sagt Alzen im Gespräch mit Motorsport-Total.com.
Sein Leben bestand aus Rennsport, denn er fuhr parallel Sportwagen für Porsche. "Wenn ich aus dem einen Auto ausgestiegen bin, war ich im Kopf schon beim nächsten Rennen", verrät der Betzdorfer, der mit seiner kompromisslosen, spektakulären Fahrweise und seinen direkten Sprüchen am Mikrofon ohne jegliche PR-Floskeln die Herzen der Fans im Sturm eroberte.
Auf der anderen Seite der Audi A4. Eigentlich ein Oldtimer, der seit 1995 im Einsatz war. Für die Privatteams gab es eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz von Allradfahrzeugen. Doch Abt schickte überraschend nicht die 1997er-Audis an den Start, sondern rüstete den 98er-Fronttriebler mit einer Eigenkonstruktion auf Allradantrieb um.
"Wir haben praktisch das komplette Getriebe umgebaut, anstatt die 97er-Version zu nehmen", erklärt Hans-Jürgen Abt gegenüber Motorsport-Total.com. "Dadurch haben wir eine bessere Gewichtsverteilung erreicht. Das Auto hat sich sehr gut angefühlt." Wie viel Werksunterstützung dahinter steckte, ist Ansichtssache: Fragt man Abt, war es eine rein private Angelegenheit. Fragt man Opel, handelte es sich um ein verkapptes Werksteam.
Jedenfalls hatte Abt mit diesem Geniestreich Opel zu Beginn der Saison 1999 völlig kalt erwischt. Nach vier Siegen in Folge wurde das Basisgewicht der Audis von 1040 auf 1070 Kilogramm erhöht. Abt nutzte die Gunst der Stunde und verstärkte den A4. "Das ist ein Panzer", stellte Co-Kommentator Christian Menzel während der Übertragung des Finalrennens fest.
Der Audi lenkte wie ein Prototyp und war vom Anbremsen bis zum Scheitelpunkt so überlegen, dass es im Laufe der Saison immer wieder zu Kollisionen am Kurveneingang kam. Der Motor des Audi war dagegen von der Basis her alles andere als optimal. Auf den Geraden waren alle Audis stets Frischfleisch für Front- und Hecktriebler.
Am Steuer: Christian Abt, ebenso kompromisslos wie Uwe Alzen, vom Grundtyp her vielleicht etwas ruhiger, aber genauso vom Titel besessen. Obwohl charakterlich ähnlich, würdigten sie sich während der Saison keines Blickes und wechselten kein Wort miteinander. Aber beide hatten einen riesigen Respekt voreinander.
Dann war da noch Honda. Für die Saison 1999 wurde auf die sechste Modellgeneration umgestellt. Wie erwartet, brauchte das Modell ein paar Rennen, um auf Touren zu kommen, die Meisterschaft war also schon gelaufen. Aber der Accord brachte die besten Anlagen aus der Serie mit, unter anderem Doppelquerlenker an Vorder- und Hinterachse. Doch beim Start kam er nicht vom Fleck, was ihn immer wieder "Track Position" kostete.
So ging es ins Finale. Alzen gewann den Sprint vor Abt. Wenn das Hauptrennen in dieser Reihenfolge enden würde, wäre Abt Meister. Würde Alzen gewinnen und Abt Dritter werden, wäre Alzen Meister. Bei den Plätzen zwei und vier würde das Pendel wieder in Richtung Abt ausschlagen.
Die Stimmung war aufgeheizt. "Volker Strycek hat seine Mannschaft darauf angesetzt, dass sie auf mich losgehen", sagt Abt. Doch der hatte seine ganz eigene Taktik: Angriff ist die beste Verteidigung. Und er hatte den besagten Panzer, die Opel waren zerbrechliche Hightech-Waffen.
Beim Start nutzt Abt den Allradantrieb und geht wie geplant in Führung. Doch der Vorsprung fällt geringer aus als erwartet. Alzens perfekte Starts mit Frontantrieb zahlten sich aus. Und so zieht Alzen schon in der ersten Runde im heutigen Advan-Bogen mit seiner überlegenen Motorleistung an Abt vorbei.
Von da an nimmt die Eskalation ihren Lauf: Abt schiebt Alzen in der Veedol-Schikane von der Strecke. Bis heute ist unklar, ob bei diesem Ritt durchs Gras die Befestigung für das Schild des Seriensponsors an der Stelle des Kennzeichens bei Alzen beschädigt wurde. Er schoss jedenfalls geradeaus und blieb in Führung.
Eine Kurve später fährt Opel-Pilot Eric Helary Abt in der Zielkurve ins Heck. Der Audi bleibt auf der Strecke, Helary rutscht raus und scheidet mit Folgeschaden aus. Ein Opel eliminiert.
Sofort schaltete sich Manuel Reuter ein. Der ITC-Champion von 1996 hatte einige Erfolge in der STW eingefahren, war aber im Fronttriebler auf Dauer nicht so stark wie Alzen. Seine Aufgabe war es nun, sich vor Abt zu setzen und diesen zu blockieren.
Der hat aber keine Lust und nutzt das überlegene Einlenkverhalten des Audi in der Querspange, um eine Lücke aufzustoßen. Was an A4 nicht in die Lücke passt, wird durch Schubsen vergrößert. Bei der Ausfahrt lässt sich Abt heraustragen, es kam zur Rad-an-Rad-Kollision. Abts A4-Panzer zuckt mit den Schultern, am Opel von Reuter wird das rechte Vorderrad abgerissen. Zwei Opel eliminiert, die Stimmung ist jetzt bereits am Siedepunkt.
Zu diesem Zeitpunkt hätte das Rennen eigentlich entschieden sein können. Alzen liegt vor Abt, zudem würden bei Alzen in der zweiten Rennhälfte die Reifen abbauen. Doch plötzlich schlägt das Pendel in die andere Richtung aus, als Abt in der Veedol-Schikane einen Fehler macht und den Reifenstapel berührt.
Das Rad schleift am Kotflügel, Abt beult den Reifen durch Lenkbewegungen auf der Zielgeraden selbst aus. "Hätte ich das nicht gemacht, wäre der Reifen dort geplatzt", sagt Abt. Doch der Reifen ist ramponiert, Abt wird ab diesem Zeitpunkt langsamer. Er muss Tom Kristensen im Honda passieren lassen, während Alzen eine Lücke aufreißt. Ab diesem Zeitpunkt hat es Abt nicht mehr selbst in der Hand.
Kristensen, zu diesem Zeitpunkt erst mit einem Sieg in Le Mans gesegnet, ist mit dem Honda allerdings bärenstark. Schon zur Saisonmitte hat er mit dem Accord auf der längeren Grand-Prix-Strecke gewonnen. Je länger das Rennen dauert, desto stärker wird der reifenschonende Honda. Doch die Zeit läuft gegen ihn, die 33 Runden neigen sich dem Ende zu.
Dann unterläuft Alzen in der Veedol-Schikane ein Fehler. Als er geradeaus durch die Wiese fährt, verrutscht das Sponsorenschild und blockiert den Einlass der vorderen rechten Bremsbelüftung. Von da an bricht Alzen ein. Die Bremsen überhitzen, die Bremswege werden länger. Kristensen zieht vorbei und macht Abt zum Champion.
Eigentlich ist alles klar, doch dann passieren Dinge, die bis heute unerklärlich sind. Kris Nissen, Abts Teamkollege, der an diesem Wochenende nicht die nötige Pace hat, kommt mit einem Reifenschaden an die Box. Bei seiner Ausfahrt liegt er direkt vor Kristensen, den er passieren lässt.
Weiter hinten ist durch die Zwischenfälle in der Spitzengruppe auch Roland Asch im Irmscher-Opel näher an das Paket herangerückt. Asch hatte einen Frühstart fabriziert und die Stop-and-Go-Strafe missachtet. Er ist längst mit der schwarzen Flagge aus dem Rennen genommen worden. Doch das interessiert ihn wenig, er fährt munter weiter und beginnt Abt mit der Lichthupe zu terrorisieren.
Bis einen Kilometer vor dem Ziel scheint der Drops gelutscht. Was dann passiert, ist bis heute ein Rätsel. Kris Nissen wird vor der Veedol-Schikane plötzlich auf der Kampflinie langsamer, zieht dann aber auf die Ideallinie. Uwe Alzen, dessen Bremsen nun völlig hinüber sind, kracht in den Audi und reißt sich das linke Vorderrad ab, auch das verschobene Schild fliegt endlich weg.
Christian Abt umgeht die Kollision durch die Schikane, Roland Asch fährt geradeaus durch die Schikane durch. Während alle Fernsehkameras auf den waidwunden Alzen gerichtet sind, hört man im Bild nur ein Krachen, gefolgt von quietschenden Reifen und einem Aufschrei der Zuschauer. Als die Kamera umschwenkt, steht Christian Abt im Kiesbett der Zielkurve.
Alzen schleppt sich auf drei Rädern über die Ziellinie und kommt an der Boxenausfahrt zum Stehen. Abt lässt sich aus dem Kies ziehen und überquert die Ziellinie als Elfter.
Jetzt ist klar: Alzen ist der Champion! Er klettert auf das Dach seines zerstörten Opel Vectra, lässt sich von den Fans feiern, die slebst nicht wissen, was da gerade passiert ist, und rennt seinem Manager Walter "Wally" Mertes in der Boxengasse entgegen. Die Emotionen sind unbeschreiblich, die Bilder, wie sie aufeinander zurennen, legendär.
Abt Sportsline legt drei Proteste ein, zwei gegen Alzen, die abgewiesen werden, und einen gegen die letzte Runde, der ebenfalls von den Sportkommissaren abgewiesen wird. Daraufhin geht der Fall vor das Sportgericht des Deutschen Motor Sport Bundes (DMSB) in Frankfurt.
Dort kommt es zu einer mehrstündigen Verhandlung. Lange Zeit wird über Daten und deren Interpretation diskutiert. Dann gelingt Hans-Jürgen Abt der Coup: "Am Ende haben wir gesagt: 'Wir hätten da noch was.' Und dann haben wir das Video eines Fans eingereicht. Darauf war deutlich zu sehen, wie Roland Christian den Kofferraum rausfährt." Das Video wurde mittlerweile von Abt erstmals nach 25 Jahren veröffentlicht.
Während alle TV-Kameras den rauchenden Uwe Alzen einfingen, hielt der Fan fest, was in der letzten Kurve geschah: Asch fährt Abt fast ungebremst ins Heck, beide Autos drehen sich. Abt landet im Kiesbett, Asch fährt wieder los und über die Linie. Das Video ist in diesem Artikel eingebettet, es müssen aber Instagram-Embeds zugelassen sein.
Da Asch nicht mehr im Rennen war und längst an der Box hätte sein müssen, wurde Abt also von einem Phantom abgeschossen. Das Berufungsgericht annullierte deshalb die letzte Runde und ordnete die Wertung des Rennens nach 32 Runden an. Christian Abt verließ den Gerichtssaal als Sieger.
Heute sind Abt und Alzen gut befreundet. "Heute lachen wir darüber", sagt Abt. "Wir haben uns ein paar Mal auf Mallorca getroffen und kommen sehr gut miteinander aus. Wir verstehen uns prächtig und haben echt tolle Zeiten neben der Rennstrecke erlebt."
Auch mit Roland Asch hat das Abt-Team reinen Tisch gemacht und ihn als Zeichen der Versöhnung sogar für ein DTM-Wochenende in den DTM-TTR gesetzt, als die Stammpiloten bei den 24 Stunden von Le Mans im Einsatz waren. Auch zwischen Uwe Alzen und Kris Nissen ist alles in Ordnung: "Er gratuliert mir jedes Jahr zum Geburtstag, das vergisst er nie", nickt Alzen, der ebenfalls seinen Frieden mit der Situation gemacht hat.
Denn Abt und Alzen sind sich einig: "Das war die geilste Zeit überhaupt. So etwas kommt nie wieder." Und beide wissen: Dieses Rennen hat beide unsterblich gemacht. Abt fasst es zusammen: "Egal, was ich in meiner Karriere sonst noch erreicht habe. Die Leute sprechen mich immer auf dieses eine Rennen an." Das einzige Rennen, das Burkhard Bechtel jemals in seiner Kommentatorenlaufbahn sprachlos gemacht hat.
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"Nee, also tut mir leid, jetzt habt ihr sie nicht mehr alle." - Besser als Kommentatorenlegende Burkhard Bechtel hätte man die Situation nicht auf den Punkt bringen können. Uwe Alzen rettet einen völlig zerstörten Opel Vectra über die Ziellinie, wenige Meter dahinter versinkt Christian Abt im Kiesbett. Der Titelkampf in der STW-Meisterschaft 1999 hat die letzte Stufe der motorsportlichen Eskalation erreicht.
Was sich am 17. Oktober 1999 auf dem Nürburgring abspielte, stellt selbst die kontroversesten Anekdoten der DTM-Geschichte in den Schatten. "Es war eine Schlacht", erinnert sich Christian Abt im Gespräch mit Motorsport-Total.com an die wohl unglaublichste Titelentscheidung, die es im deutschen professionellen Motorsport je gegeben hat.
Eine Saison, die eigentlich ein Durchmarsch von Opel werden sollte, entwickelte sich zu einem Krimi zwischen zwei Alphatieren, die beide bereit waren, alles für den Titel zu geben. Im Rücken millionenschwere Programme in der Spätphase der Super-Touring-Ära, als die Kosten schon völlig aus dem Ruder liefen.
Schon früh in der Saison hatten Abt und Alzen die jeweiligen Chefposten in ihren Lagern übernommen. Mit allen Mitteln wurde auf und neben der Strecke gekämpft. Bereits in den vorangegangenen Rennen kam es zu kontroversen Szenen, beide Lager fuhren dem jeweils anderen Titelkandidaten ins Auto. In Hockenheim erwirkte Opel eine Disqualifikation gegen Abt, weil sein Team nach einer Kollision, in die auch Alzen verwickelt war, unter Parc-ferme-Bedingungen an seinem Auto arbeitete.
Auch auf der technischen Seite wurden alle Register gezogen. Die Tourenwagen sahen nur noch von außen wie Serienautos aus. Der technische Overkill der Klasse I, den die ursprünglich als Klasse II deklarierten 2-Liter-Tourenwagen eigentlich zu vermeiden suchten, hatte in abgeschwächter Form längst Einzug gehalten.
Im Qualifying wurden Keilriemen zerschnitten, um das letzte Quäntchen Leistung aus den mit 300 bis 320 PS nicht gerade übermotorisierten Tourenwagen herauszukitzeln. Radlager aus Keramik wurden gefahren, serienmäßige Zahnriemen gegen Stirnräder getauscht. Die Kotflügel wurden aufwendig nach innen verbreitert (nach außen war das nicht erlaubt), um Platz für immer breitere Reifen zu schaffen.
Auf der einen Seite der Opel Vectra B, dessen Facelift zur Saison 1999 eingeführt wurde. Er markiert die letzte Evolution der Super-Touring-Ära mit allem zeitgemäßen Hightech. Opel legte sich mächtig ins Zeug, denn nach zahlreichen Herstellerausstiegen war man Favorit. Opel-Werkstuner Spiess baute einen fabelhaften Motor, in der Spitze ließ der Vectra alles stehen und liegen.
Auch am Start kam der Opel für einen Fronttriebler erstaunlich gut weg, vor allem mit Alzen. Das ultraprofessionelle Team Holzer hatte den Vectra über die Jahre zu einer echten Waffe entwickelt. Doch die Low-Downforce-Philosophie schlug sich in erhöhtem Reifenverschleiß nieder. Die Basis ging bereits auf 1996 zurück.
Am Steuer: Uwe Alzen - Vollgastier, Naturtalent, verbissener Erfolgsmensch. Nach einem Lehrjahr an der Seite von Klaus Ludwig in der ITC 1996 mit allen Wassern gewaschen. "Klaus war für mich der größte Tourenwagen- und Sportwagenfahrer überhaupt. So wie andere Ayrton Senna als Vorbild haben, war Klaus mein Vorbild", sagt Alzen im Gespräch mit Motorsport-Total.com.
Sein Leben bestand aus Rennsport, denn er fuhr parallel Sportwagen für Porsche. "Wenn ich aus dem einen Auto ausgestiegen bin, war ich im Kopf schon beim nächsten Rennen", verrät der Betzdorfer, der mit seiner kompromisslosen, spektakulären Fahrweise und seinen direkten Sprüchen am Mikrofon ohne jegliche PR-Floskeln die Herzen der Fans im Sturm eroberte.
Auf der anderen Seite der Audi A4. Eigentlich ein Oldtimer, der seit 1995 im Einsatz war. Für die Privatteams gab es eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz von Allradfahrzeugen. Doch Abt schickte überraschend nicht die 1997er-Audis an den Start, sondern rüstete den 98er-Fronttriebler mit einer Eigenkonstruktion auf Allradantrieb um.
"Wir haben praktisch das komplette Getriebe umgebaut, anstatt die 97er-Version zu nehmen", erklärt Hans-Jürgen Abt gegenüber Motorsport-Total.com. "Dadurch haben wir eine bessere Gewichtsverteilung erreicht. Das Auto hat sich sehr gut angefühlt." Wie viel Werksunterstützung dahinter steckte, ist Ansichtssache: Fragt man Abt, war es eine rein private Angelegenheit. Fragt man Opel, handelte es sich um ein verkapptes Werksteam.
Jedenfalls hatte Abt mit diesem Geniestreich Opel zu Beginn der Saison 1999 völlig kalt erwischt. Nach vier Siegen in Folge wurde das Basisgewicht der Audis von 1040 auf 1070 Kilogramm erhöht. Abt nutzte die Gunst der Stunde und verstärkte den A4. "Das ist ein Panzer", stellte Co-Kommentator Christian Menzel während der Übertragung des Finalrennens fest.
Der Audi lenkte wie ein Prototyp und war vom Anbremsen bis zum Scheitelpunkt so überlegen, dass es im Laufe der Saison immer wieder zu Kollisionen am Kurveneingang kam. Der Motor des Audi war dagegen von der Basis her alles andere als optimal. Auf den Geraden waren alle Audis stets Frischfleisch für Front- und Hecktriebler.
Am Steuer: Christian Abt, ebenso kompromisslos wie Uwe Alzen, vom Grundtyp her vielleicht etwas ruhiger, aber genauso vom Titel besessen. Obwohl charakterlich ähnlich, würdigten sie sich während der Saison keines Blickes und wechselten kein Wort miteinander. Aber beide hatten einen riesigen Respekt voreinander.
Dann war da noch Honda. Für die Saison 1999 wurde auf die sechste Modellgeneration umgestellt. Wie erwartet, brauchte das Modell ein paar Rennen, um auf Touren zu kommen, die Meisterschaft war also schon gelaufen. Aber der Accord brachte die besten Anlagen aus der Serie mit, unter anderem Doppelquerlenker an Vorder- und Hinterachse. Doch beim Start kam er nicht vom Fleck, was ihn immer wieder "Track Position" kostete.
So ging es ins Finale. Alzen gewann den Sprint vor Abt. Wenn das Hauptrennen in dieser Reihenfolge enden würde, wäre Abt Meister. Würde Alzen gewinnen und Abt Dritter werden, wäre Alzen Meister. Bei den Plätzen zwei und vier würde das Pendel wieder in Richtung Abt ausschlagen.
Die Stimmung war aufgeheizt. "Volker Strycek hat seine Mannschaft darauf angesetzt, dass sie auf mich losgehen", sagt Abt. Doch der hatte seine ganz eigene Taktik: Angriff ist die beste Verteidigung. Und er hatte den besagten Panzer, die Opel waren zerbrechliche Hightech-Waffen.
Beim Start nutzt Abt den Allradantrieb und geht wie geplant in Führung. Doch der Vorsprung fällt geringer aus als erwartet. Alzens perfekte Starts mit Frontantrieb zahlten sich aus. Und so zieht Alzen schon in der ersten Runde im heutigen Advan-Bogen mit seiner überlegenen Motorleistung an Abt vorbei.
Von da an nimmt die Eskalation ihren Lauf: Abt schiebt Alzen in der Veedol-Schikane von der Strecke. Bis heute ist unklar, ob bei diesem Ritt durchs Gras die Befestigung für das Schild des Seriensponsors an der Stelle des Kennzeichens bei Alzen beschädigt wurde. Er schoss jedenfalls geradeaus und blieb in Führung.
Eine Kurve später fährt Opel-Pilot Eric Helary Abt in der Zielkurve ins Heck. Der Audi bleibt auf der Strecke, Helary rutscht raus und scheidet mit Folgeschaden aus. Ein Opel eliminiert.
Sofort schaltete sich Manuel Reuter ein. Der ITC-Champion von 1996 hatte einige Erfolge in der STW eingefahren, war aber im Fronttriebler auf Dauer nicht so stark wie Alzen. Seine Aufgabe war es nun, sich vor Abt zu setzen und diesen zu blockieren.
Der hat aber keine Lust und nutzt das überlegene Einlenkverhalten des Audi in der Querspange, um eine Lücke aufzustoßen. Was an A4 nicht in die Lücke passt, wird durch Schubsen vergrößert. Bei der Ausfahrt lässt sich Abt heraustragen, es kam zur Rad-an-Rad-Kollision. Abts A4-Panzer zuckt mit den Schultern, am Opel von Reuter wird das rechte Vorderrad abgerissen. Zwei Opel eliminiert, die Stimmung ist jetzt bereits am Siedepunkt.
Zu diesem Zeitpunkt hätte das Rennen eigentlich entschieden sein können. Alzen liegt vor Abt, zudem würden bei Alzen in der zweiten Rennhälfte die Reifen abbauen. Doch plötzlich schlägt das Pendel in die andere Richtung aus, als Abt in der Veedol-Schikane einen Fehler macht und den Reifenstapel berührt.
Das Rad schleift am Kotflügel, Abt beult den Reifen durch Lenkbewegungen auf der Zielgeraden selbst aus. "Hätte ich das nicht gemacht, wäre der Reifen dort geplatzt", sagt Abt. Doch der Reifen ist ramponiert, Abt wird ab diesem Zeitpunkt langsamer. Er muss Tom Kristensen im Honda passieren lassen, während Alzen eine Lücke aufreißt. Ab diesem Zeitpunkt hat es Abt nicht mehr selbst in der Hand.
Kristensen, zu diesem Zeitpunkt erst mit einem Sieg in Le Mans gesegnet, ist mit dem Honda allerdings bärenstark. Schon zur Saisonmitte hat er mit dem Accord auf der längeren Grand-Prix-Strecke gewonnen. Je länger das Rennen dauert, desto stärker wird der reifenschonende Honda. Doch die Zeit läuft gegen ihn, die 33 Runden neigen sich dem Ende zu.
Dann unterläuft Alzen in der Veedol-Schikane ein Fehler. Als er geradeaus durch die Wiese fährt, verrutscht das Sponsorenschild und blockiert den Einlass der vorderen rechten Bremsbelüftung. Von da an bricht Alzen ein. Die Bremsen überhitzen, die Bremswege werden länger. Kristensen zieht vorbei und macht Abt zum Champion.
Eigentlich ist alles klar, doch dann passieren Dinge, die bis heute unerklärlich sind. Kris Nissen, Abts Teamkollege, der an diesem Wochenende nicht die nötige Pace hat, kommt mit einem Reifenschaden an die Box. Bei seiner Ausfahrt liegt er direkt vor Kristensen, den er passieren lässt.
Weiter hinten ist durch die Zwischenfälle in der Spitzengruppe auch Roland Asch im Irmscher-Opel näher an das Paket herangerückt. Asch hatte einen Frühstart fabriziert und die Stop-and-Go-Strafe missachtet. Er ist längst mit der schwarzen Flagge aus dem Rennen genommen worden. Doch das interessiert ihn wenig, er fährt munter weiter und beginnt Abt mit der Lichthupe zu terrorisieren.
Bis einen Kilometer vor dem Ziel scheint der Drops gelutscht. Was dann passiert, ist bis heute ein Rätsel. Kris Nissen wird vor der Veedol-Schikane plötzlich auf der Kampflinie langsamer, zieht dann aber auf die Ideallinie. Uwe Alzen, dessen Bremsen nun völlig hinüber sind, kracht in den Audi und reißt sich das linke Vorderrad ab, auch das verschobene Schild fliegt endlich weg.
Christian Abt umgeht die Kollision durch die Schikane, Roland Asch fährt geradeaus durch die Schikane durch. Während alle Fernsehkameras auf den waidwunden Alzen gerichtet sind, hört man im Bild nur ein Krachen, gefolgt von quietschenden Reifen und einem Aufschrei der Zuschauer. Als die Kamera umschwenkt, steht Christian Abt im Kiesbett der Zielkurve.
Alzen schleppt sich auf drei Rädern über die Ziellinie und kommt an der Boxenausfahrt zum Stehen. Abt lässt sich aus dem Kies ziehen und überquert die Ziellinie als Elfter.
Jetzt ist klar: Alzen ist der Champion! Er klettert auf das Dach seines zerstörten Opel Vectra, lässt sich von den Fans feiern, die slebst nicht wissen, was da gerade passiert ist, und rennt seinem Manager Walter "Wally" Mertes in der Boxengasse entgegen. Die Emotionen sind unbeschreiblich, die Bilder, wie sie aufeinander zurennen, legendär.
Abt Sportsline legt drei Proteste ein, zwei gegen Alzen, die abgewiesen werden, und einen gegen die letzte Runde, der ebenfalls von den Sportkommissaren abgewiesen wird. Daraufhin geht der Fall vor das Sportgericht des Deutschen Motor Sport Bundes (DMSB) in Frankfurt.
Dort kommt es zu einer mehrstündigen Verhandlung. Lange Zeit wird über Daten und deren Interpretation diskutiert. Dann gelingt Hans-Jürgen Abt der Coup: "Am Ende haben wir gesagt: 'Wir hätten da noch was.' Und dann haben wir das Video eines Fans eingereicht. Darauf war deutlich zu sehen, wie Roland Christian den Kofferraum rausfährt." Das Video wurde mittlerweile von Abt erstmals nach 25 Jahren veröffentlicht.
Während alle TV-Kameras den rauchenden Uwe Alzen einfingen, hielt der Fan fest, was in der letzten Kurve geschah: Asch fährt Abt fast ungebremst ins Heck, beide Autos drehen sich. Abt landet im Kiesbett, Asch fährt wieder los und über die Linie. Das Video ist in diesem Artikel eingebettet, es müssen aber Instagram-Embeds zugelassen sein.
Da Asch nicht mehr im Rennen war und längst an der Box hätte sein müssen, wurde Abt also von einem Phantom abgeschossen. Das Berufungsgericht annullierte deshalb die letzte Runde und ordnete die Wertung des Rennens nach 32 Runden an. Christian Abt verließ den Gerichtssaal als Sieger.
Heute sind Abt und Alzen gut befreundet. "Heute lachen wir darüber", sagt Abt. "Wir haben uns ein paar Mal auf Mallorca getroffen und kommen sehr gut miteinander aus. Wir verstehen uns prächtig und haben echt tolle Zeiten neben der Rennstrecke erlebt."
Auch mit Roland Asch hat das Abt-Team reinen Tisch gemacht und ihn als Zeichen der Versöhnung sogar für ein DTM-Wochenende in den DTM-TTR gesetzt, als die Stammpiloten bei den 24 Stunden von Le Mans im Einsatz waren. Auch zwischen Uwe Alzen und Kris Nissen ist alles in Ordnung: "Er gratuliert mir jedes Jahr zum Geburtstag, das vergisst er nie", nickt Alzen, der ebenfalls seinen Frieden mit der Situation gemacht hat.
Denn Abt und Alzen sind sich einig: "Das war die geilste Zeit überhaupt. So etwas kommt nie wieder." Und beide wissen: Dieses Rennen hat beide unsterblich gemacht. Abt fasst es zusammen: "Egal, was ich in meiner Karriere sonst noch erreicht habe. Die Leute sprechen mich immer auf dieses eine Rennen an." Das einzige Rennen, das Burkhard Bechtel jemals in seiner Kommentatorenlaufbahn sprachlos gemacht hat.
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Statistik: Verfasst von Redaktion — 17.10.2024, 05:29